Unbekanntes Ostend

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Viele Mitarbeiter der EZB kennen das Frankfurter Ostend nur vom Blick aus dem Fenster oder ihrem Weg zur Arbeit. Das soll sich ändern.

Schranken, Stacheldraht und Kontrollen. Die Mitarbeiter der Europäischen Zentralbank arbeiten gut geschützt von ihrer Außenwelt. Viele kennen das Viertel nur von dem Blick aus dem Fenster oder dem Weg zur Bahn. Doch manchmal wollen sie auch raus aus dem Glaskasten. Heute starten einige gar eine Expedition durch das Viertel, in dem sie seit dem Umzug im vergangenen Jahr zu Hause sind.
„Wir sind interessiert daran, dass wir als gute Nachbarn angesehen werden“, sagt Johannes Priesemann. Der Vizepräsident von Ipso, der EZB-Gewerkschaft, spricht zu einer kleinen Gruppe auf dem Paul-Arnsberg-Platz. Sein Arbeitsplatz, der hinter ihm gen Himmel ragt, ist am Montagvormittag in Wolken gehüllt.
Auf einem Rundgang durch das Ostend schauen sie sich gemeinsam mit Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) die Probleme, Eigenheiten und Neuerungen an: Hafenpark, das Union-Gelände, Schwedler See und eine Wurst bei Gref Völsing. Viel hat sich getan, viel wird noch passieren. Doch vor allem alteingesessene Bewohner beobachten die Veränderung mit Sorge.
Priesemann kann die Angst vor Gentrifizierung verstehen, Stadt und EZB seien hier gemeinsam gefordert. Er ist beeindruckt, was die Stadt rund um die EZB geschaffen hatt: Grüngürtel geschlossen und neue Brücke gebaut zum Beispiel. Ipso, mit rund 400 Mitgliedern, setzt sich etwa für unbefristete Arbeitsverträge ein.

Wie viele EZBler tatsächlich im Ostend wohnen, wissen die Gewerkschaftsmitglieder nicht genau. Vor allem in den neuen Wohnungen an der Oskar-Miller-Straße Richtung Main lebe bestimmt in jedem Haus einer von ihnen, vermutet EZB-Mitarbeiter Bernhard Stricker während er mehr über die Jüdische Geschichte des Viertels erfährt. Stricker selbst ist in Bockenheim Zuhause.
Viele lebten auch in der Nähe der Europäischen Schule, die in Niederursel liegt. So wie Päivi Kantti, die mit Kindern und Mann am Riedberg lebt. Ins Ostend ziehen würde sie darum nicht solange die Kinder noch nicht aus dem Haus seien. Der alten Standort der Bank am Willy-Brandt-Platz hat ihr besser gefallen. „Das war viel zentraler.“ Hier fehlten Einkaufsmöglichkeiten.

Unbezahlbare Mieten

Vorher sei man in zehn Minuten auf der Zeil gewesen. Doch das Viertel wandele sich, sicher käme noch viel dazu. In ihrer Mittagspause gehen die EZB-Mitarbeiter nicht nur in ihrer Kantine essen, sondern auch in die umliegenden Restaurants. Im Marcellino in der Ostendstraße ist es um halb eins proppevoll.
In einem riesigen Parmesanlaib schwenken die Kellner Pasta. Inhaber Antonio Marcellino freut sich über die vielen Gäste, die seit dem EZB-Umzug sein Lokal besuchen. Mehr als die Hälfte seien aus der Bank, internationales Publikum aus ganz Europa. Auch abends ließen sie es sich bei Geschäftsessen schmecken. Als er sein Lokal 2011 hier eröffnete hatte er die EZB schon im Hinterkopf.
„Für unser Geschäft ist die Veränderung gut, aber für viele Bürger nicht“, sagt Marcellino. Die Mieten seien teilweise unbezahlbar. Das Gleichgewicht müsse stimmen, sonst verliere das Viertel sein Flair. „Die Gastronomieszene entwickelt sich stark.“ Aber nicht alle hielten sich, trotz EZB. Im November eröffnet er in der Sonnemannstraße vis á vis der EZB die Pizzeria Mille Lire.
Neue hippe Läden machten auf, wie Bar und Restaurant Jesse James am Danziger Platz, wo nebendran auf der ehemaligen Feuerwache Wohnungen, Hotel und Supermarkt entstehen. Gegenüber, wo einst die legendären Beine vom Sudfass ins Innere führten, stehen junge Menschen Schlange um bei Jamy’s Burger ebensolche zu bekommen.

Doch manche sind schon lange da. Gegenüber vom Marcellino gibt es seit 40 Jahren die Kutscherklause. Monika Berkenkopf, die das Lokal von ihren Eltern übernommen hat und gemeinsam mit ihrer Schwester führt, kommt gerade aus der Küche. Einige Männer sitzen an der Bar, trinken ein Bier, essen in der abgetrennten „Raucherlounge“.
Viel Besuch von EZBlern gebe es noch nicht, sagt sie. „Das muss sich noch ausbreiten.“ Bei Sportübertragungen sei schon mal der ein oder andere im Anzug da. Noch vor einigen Monaten sah es für das Traditionslokal schlecht aus. Der Eigentümer wolle die Miete so stark erhöhen, dass sie hätten ausziehen müssen. Doch nun soll sich die Steigerung in Grenzen halten.

Mehr als 18 Prozent mehr Miete
Teuere Mieten bleibt ein großes Thema im Viertel. An jeder Ecke wird gebaut, Altbauten saniert, schicke und teure Apartmentkomplexe entstehen. „Wir müssen aufpassen, dass die Mieter nicht verdrängt werden“, sagt Feldmann auf dem Weg durch das Viertel. Etwa durch Milieuschutzverordnungen.
Der Rundgang zeige, dass die EZBler sich nicht nur verbarrikadieren wollten und nicht nur der „Feind“ seien. Auch dort gebe es Leute, denen Sozialpolitik wichtig sei. Sie könnten künftig mit Initiativen im Stadtteil zusammenarbeiten. Wenn die EZB sich am Wohnungsbau, auch dem sozialen, beteilige, sei das ein Signal, auch für andere Firmen.

„Goldgräberstimmung bei Vermietern“

Gudrun Schmidt und ihr Partner Michael Boedecke, die EZBler und Feldmann durch ihren Stadtteil führen, wohnen seit 15 Jahren in der Rückerstraße. Sie erinnert sich daran, dass Autogebrauchtwarenhändler vor ihrer Haustür verkauften und sie sich den Weg über Zäune und Trümmergrundstücke zum Main suchten.
Sie sieht die Veränderungen mit gemischten Gefühlen. Die Aufwertung sei positiv, steigende Mieten negativ. „Bei manchen Vermietern herrscht Goldgräberstimmung“, sagt Boedecke. Sozialwohnungen gebe es zu wenige. In diesem Haus etwa wird eine 53 Quadratmeter große Wohnung für 765 Euro kalt angeboten – und das im Altbestand.

 

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